Authentizität

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Authentizität - Echtheit im Sinne von Ursprünglichkeit

Beschreibung

griechisch αὐθεντικός authentikós „echt“; spätlateinisch authenticus „verbürgt, zuverlässig“

Authentizität bezeichnet eine kritische Qualität von Wahrnehmungsinhalten (Gegenständen oder Menschen, Ereignissen oder menschlichem Handeln), die den Gegensatz von Schein und Sein als Möglichkeit zu Täuschung und Fälschung voraussetzt.

  • Als authentisch gilt ein solcher Inhalt, wenn beide Aspekte der Wahrnehmung, unmittelbarer Schein und eigentliches Sein, in Übereinstimmung befunden werden.
  • Die Scheidung des Authentischen vom vermeintlich Echten oder Gefälschten kann als spezifisch menschliche Form der Welt- und Selbsterkenntnis gelten.
  • Zur Bewährung von Authentizität sind sehr weitreichende Kulturtechniken entwickelt worden, die die Kriterien von Authentizität für einen bestimmten Gegenstandsbereich normativ zu (re-)konstruieren versuchen.

Formen von Authentizität

Option Beschreibung
Archäologische und historische Authentizität
Hermeneutik: Mens Auctoris und interpretatio authentica
Rhetorik
Musik
Recht
Informatik
Fachdidaktik
Marketing
Im kulturwissenschaftlichen Diskurs

Archäologische und historische Authentizität

Authentizität von verschiedenen aufgefundenen Artefakten (z. B. Kunstwerken, Bauteilen, Münzen, Schriftstücken) bedeutet, dass der zu untersuchende Gegenstand tatsächlich von den Personen, Autoren oder Quellen stammt, von denen er zu stammen vorgibt, also weder Fälschung noch Fehlzuschreibung ist.

  • Ein klassisches Beispiel aus dem Bereich der Altphilologie ist die sogenannte Homerische Frage.
  • Mit den Mitteln der Sprachwissenschaft wird die Autorschaft Homers gegen die überlieferte Zuschreibung geprüft.
  • Zugleich wird im Rahmen der Altertumswissenschaft die historische Authentizität (die tatsächliche Existenz) Homers sowie der in diesen Schriften geschilderten Schauplätze und Ereignisse mit den Mitteln der Geschichtswissenschaft und Archäologie überprüft (vgl. etwa die Tübinger Troja-Debatte).

Die Frage nach historischer Authentizität wurde am Beispiel biblischer Texte intensiv diskutiert.

  • Gegenüber einem biblizistischen Verständnis, nach dem die Korrespondenzwahrheit der Bibel durch archäologische Artefakte bewiesen werden sollte, hat die theologische Wissenschaft eine differenzierte Zuordnung von Faktualitätsanspruch und erzählerischer Fiktionalität ermöglicht. Authentizität wird hierbei ausgeweitet auf die Frage nach Wahrheit und Wirklichkeit.

Hermeneutik: Mens Auctoris und interpretatio authentica

Die griechischen Kirchenväter übersetzten Authentizität mit dem lateinischen Begriff Auctoritas, der in der deutschen Sprache als Autorschaft oder Autorität erhalten ist.

  • Zu den Grundlagen hermeneutischer Exegese (Textinterpretation) gehört die Frage nach der Absicht des Autors (mens auctoris) sowie der Begriff einer authentischen Interpretation, die von abwegigen oder ketzerischen, nicht-authentischen Auslegungen zu unterscheiden ist.

Rhetorik

Die Rhetorik verhandelt die Authentizitätsfrage auf der Textebene und der Ebene der rednerischen Performanz (Aufführung).

  • Es handelt sich dabei um eine Inszenierung, die ihre Inszeniertheit zu verbergen und so einen Echtheits- bzw. Wirklichkeitseffekt zu erzeugen sucht (vgl. das Prinzip der dissimulatio artis).
  • Authentizität ist nicht als Eigenschaft, die einem Text oder einer Person einfach innewohnt, zu verstehen, sondern als Ergebnis eines Zuschreibungsprozesses, das auf die rednerische Intention zurückgeführt werden soll.

Auf der Textebene entsteht Authentizität durch Verbergen der Konstruiertheit des Textes, hier sind Medien wie Film oder Fotografie sehr erfolgreich.

  • In Bezug auf die rednerische Performanz steht der Begriff der Authentizität in einem engen Verhältnis mit dem Ethos einer Person, in der Rhetorik mit dem Orator.

Musik

In der Musiktheorie werden unter anderem gewisse Kirchentonleitern als authentisch bezeichnet, im Gegensatz zu den plagalen Kirchentonleitern: Authentisch meint hier das ursprünglich Tonangebende, zu dem das Plagale in einem bloß modifizierenden, untergeordneten Ableitungsverhältnis steht.

In Populärer Musik wird Authentizität vielfach mit „Street Credibility“ übersetzt.

  • Die Bürgschaft für das Eigene wird hauptsächlich von der Fangemeinde („Peergroup“) übernommen, die darunter oft eine Kongruenz zu den eigenen Lebensverhältnissen versteht.
  • Diese Kongruenz soll dechiffrierbar sein, was die Musik betrifft.
  • Wenn man sich vom Musikalischen ins Populärmusikalische begibt, dann ist das bereits eine ökonomische Entscheidung, eine Ökonomie der Aufmerksamkeit, die die Bestätigung in reinen Verkaufszahlen nahelegen würde, wäre da nicht auch das Moment des Widerstands gegen die Kulturindustrie, das bei der publikumswirksamen Bürgschaft oft zum Zuge kommt.
  • Auch Streetcredibility hat also erst in zweiter Linie mit Verkaufszahlen zu tun.
  • Wo die Verwertungsmaschinerie bewusst wird, wird populärer Musik Glaubwürdigkeit verliehen.
  • Das kann auch bei anderen Anlässen der Fall sein, zum Beispiel beim gemeinsamen Engagement vieler Musiker gegen den Irakkrieg 2003.
  • Musik muss sich aber nicht in Wirtschaft oder Politik einmischen, um glaubwürdig zu sein: Das Image des an politischen und gesellschaftlichen Fragen Uninteressierten kann zu dessen authentischer Gestalt beitragen.
  • Authentizität in der Populären Musik ist ein sensibler Maßstab, sie reagiert geradezu allergisch auf Versuche der künstlichen Anpassung – sie ist ein Wahrheits- und Ehrlichkeitsmaßstab zur Vermittlung von Aufrichtigkeit, der die Ebenen der musikalischen Gestaltung wie auch die Rahmenbedingungen sehr genau erfasst.
  • Was verbürgt wird, ist nicht nur die Angemessenheit des musikalischen Ausdrucks, oft kommen die Lebensbedingungen der Künstler hinzu.
  • Superstars stehen oft vor dem Problem, Authentizität nur aus gesamtgesellschaftlichen Topoi generieren zu können, die für Stile (im Sinne von Subkulturen) typischen entgehen ihnen.
  • Streetcredibility ist ein modernes Instrument.
  • Beim frühen Blues zum Beispiel würde man eher von Authentizität sprechen, beim Hip-Hop ist eher die Rede von Streetcredibility.
  • So ist Authentizität in der populären Musik ein individueller (subjektiver) Maßstab, Streetcredibility ein kollektiver (intersubjektiver).
  • Die wirksamsten Elemente für die Rekonstruktion von Streetcredibility in Populärer Musik sind oft Liveelemente, wie sie zum Beispiel im Song Denkmal (2004) der Band Wir sind Helden eingelassen sind.
  • In einem der offiziellen Videoreleases des Songs wird der Refrain an einer Stelle vom Publikum mitgesungen („Sie haben uns ein Denkmal gebaut“).
  • Hinzu kommt eine Videopräsentation, die sich stark an der Dokumentation von Bühnen- und Tourerlebnis orientiert. Ein anderes Videorelease desselben Songs beschäftigt sich näher mit den – für Authentizität und Streetcredibility in der Populären Musik typischen – inhaltlichen Bezügen des Songtextes.

Recht

In der Rechtswissenschaft wird der vom Gesetzgeber selbst veröffentlichte Wortlaut einer Rechtsnorm authentisch genannt.

  • Im Gegensatz dazu stehen andere Verlautbarungen oder Veröffentlichungen wie beispielsweise in Lehrbüchern oder Kommentaren, die entgegen der authentischen Version nicht im Wortlaut rechtsverbindlich sind.

Ein bekanntes Beispiel hierfür sind die Überschriften von Paragraphen in den meisten deutschen Gesetzen.

  • In der authentischen Fassung der Gesetze (in Deutschland ausschließlich die Verlautbarung im Bundesgesetzblatt bzw. den jeweiligen Gesetzblättern der Länder) haben die einzelnen Paragraphen oft keine Überschrift, während sie in vielen Textausgaben von Verlagen nicht-authentische (d. h.
  • inoffizielle und daher rechtlich unverbindliche) Überschriften enthalten.
  • Solche Ergänzungen werden üblicherweise durch eckige Klammern als nicht-authentisch ausgewiesen.

Österreich ist das erste europäische Land, das die Onlineversion des Bundesgesetzblattes (im Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramtes) anstelle der ebenfalls veröffentlichten Papierform als authentisch betrachtet.

Eine Gesetzesauslegung (Exegese) kann den Status der sogenannten authentischen Interpretation haben, wenn das gesetzgebende Organ selbst, vor allem in den parlamentarischen Gesetzgebungsmaterialien, sie zum Ausdruck gebracht hat.

Informatik

In der Informationssicherheit bezeichnet Authentizität die Eigenschaften der Echtheit, Überprüfbarkeit und Vertrauenswürdigkeit.

Die Überprüfung einer behaupteten Eigenschaft wird als Authentifikation bezeichnet.

Durch Authentifikation des Datenursprungs wird nachgewiesen, dass Daten einem angegebenen Sender zugeordnet werden können, was durch digitale Signaturen ermöglicht werden kann.

Anhand des Problems der byzantinischen Generäle kann man viele Fragestellungen zur Authentizität von Informationen untersuchen.

  • Bei diesem Szenario belagern mehrere Generäle, die sich gegenseitig nicht vertrauen, Byzanz und lassen sich Mitteilungen zukommen.
  • Gesucht sind Algorithmen zur sicheren Übertragung und Verifikation dieser Mitteilungen, da der Absender oder eine ganze Mitteilung von einem anderen gefälscht sein kann, Mitteilungen durch abgefangene Boten verloren gehen oder durch gefälschte Mitteilungen ersetzt werden können.

Vorlage:Siehe auch

Fachdidaktik

In der Fachdidaktik versteht man unter Authentizität, dass das vorliegende Material (z. B. Interview, Film, Nachrichtensendung, Zeitungsartikel, Hinweisschild usw.), das ein Lehrer verwendet, nicht für den Unterricht entworfen oder verändert wurde.

In der Fremdsprachendidaktik werden Situationen und Aufgabenstellungen dann als „authentisch“ angesehen, wenn die Schüler sie in der Schul- und Klassenzimmersituation als unmittelbar-real erfahren oder zumindest als lebensecht akzeptieren können, so dass sie das Erlernte auch in die außerschulische Lebenswelt übertragen können.

Die Geschichtsdidaktik unterscheidet nach Hans-Jürgen Pandel verschiedene Formen der Authentizität.

  • Personen- und Ereignisauthentizität geben an, inwieweit dargestellte Personen oder Ereignisse tatsächlich existiert haben.
  • Quellenauthentizität gibt an, inwieweit eine Quelle den Ansprüchen an Echtheit genügt.
  • Typenauthentizität gibt an, inwieweit Personen / Figuren womöglich erfunden, aber im historischen Kontext trotzdem überzeugend sind (Beispiel: Der erfundene Hitler-Junge im Jugendroman).
  • Erlebnisauthentizität gibt an, inwieweit das in Texten erlebte und empfundene tatsächlich vom Verfasser so empfunden wurde.
  • Pandel merkt an, dass diese Art der Authentizität mit den „üblichen quellenhistorischen Mitteln“ kaum nachweisbar ist.
  • Repräsentationsauthentizität gibt an, inwieweit ein dargestelltes Ereignis epochentypisch andere Vorkommnisse / Ereignisse abbildet.

Marketing

Innerhalb der strategischen Markenführung wird Marken-Authentizität als „Wahrhaftigkeit des proklamierten Markennutzenversprechens“ definiert.

  • Als wahrhaftig wird das Nutzenversprechen von den Nachfragern wahrgenommen, wenn sie den Eindruck haben, dass sich die Marke nach außen hin nicht anders darstellt, als sie ist.

Im kulturwissenschaftlichen Diskurs

Rolf Lindner näherte sich diesem Thema mit der „Idee des Authentischen“.

  • Er sieht in der Frage der Authentizität den Basisdiskurs der Kulturanthropologie.
  • Bei aktuellen Diskursbeiträgen geht man davon aus, dass kulturelle Echtheitsfragen durch dramaturgische Aufbereitungen des Handelns zu erzielen seien (somit auch durch Inszenierungen), im Gegensatz dazu nahm man früher an, dass Authentizität nur dort stattfindet, wo nichts inszeniert ist.

Nach Manfred Hattendorf kann Authentizität auch von den unterschiedlichen Dimensionen der Wahrnehmung abhängig sein.

  • Etwas kann also in einem bestimmten Zusammenhang authentisch sein, in einem anderen aber auch wieder nicht.
  • Somit hängt Authentizität von der Zusammenwirkung mehrerer Variablen ab.
  • Hattendorf vergleicht die Rezeption von Authentizität mit dem Zustande kommen eines Vertrages.
  • Zunächst bietet eine ordnende Instanz ein Kommunikat an.
  • Der Rezipient steht dem mit seinem Wissen, Erfahrung und spezifischer Wahrnehmung zur Seite.
  • Die Beziehung der beiden ist durch eine wechselseitige Einflussnahme geprägt.
  • Nun liefert die ordnende Instanz Anreize, um das Interesse des Rezipienten zu wecken.
  • Durch spezifische Authentizitätssignale kann eine Rezeption in Gang gesetzt werden, die im besten Falle einen Vertragsabschluss bewirken.
  • Mit diesem Wissen erschließt sich uns, dass etwas authentisch ist, wenn das Vertrauen des Zusehers gewonnen wird.
  • Ist dies nicht der Fall, so wird es als unglaubwürdig empfunden.
  • Somit ist Authentizität auch immer vom Individuum abhängig.
  • Mit diesem Verständnis steht Hattendorf im Zentrum kulturwissenschaftlicher Authentizitätsdiskurse und macht deutlich, dass es schwer ist, eine Scheidelinie zwischen inszeniert (falsch) und authentisch (echt) zu ziehen.

Authentizität von Personen

Authentizität bezeichnet auch eine Persönlichkeitseigenschaft und einen persönlichen (ethischen) Wert (Wertvorstellung).

  • Angewendet auf Personen bedeutet Authentizität, sich gemäß seinem wahren Selbst, d. h.
  • seinen Werten, Gedanken, Emotionen, Überzeugungen und Bedürfnissen auszudrücken und dementsprechend zu handeln, und sich nicht durch äußere Einflüsse bestimmen zu lassen (Harter, 2002). Gruppenzwang und Manipulation beispielsweise unterwandern persönliche Authentizität.

Die Sozialpsychologen Michael Kernis und Brian Goldman unterscheiden vier Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit man sich selbst als authentisch erlebt:

  • Bewusstsein – Ein authentischer Mensch kennt seine Stärken und Schwächen ebenso wie seine Gefühle und Motive für bestimmte Verhaltensweisen.
  • Dies setzt Selbsterkenntnis durch Selbst- und Fremdwahrnehmung und Selbstreflexion voraus, um sich seiner selbst und seines Handelns bewusst zu werden.
  • Ehrlichkeit – Hierzu gehört, der ungeschminkten Realität, das eigene Selbst betreffend, ins Auge zu blicken und auch unangenehme Rückmeldungen zu akzeptieren.
  • Konsequenz – Ein authentischer Mensch handelt nach seinen Werten und Überzeugungen.
  • Das gilt für die gesetzten Prioritäten und auch für den Fall, dass er sich dadurch Nachteile einhandelt.
  • Kaum etwas wirkt verlogener und unechter als ein Opportunist.
  • Aufrichtigkeit – Authentizität beinhaltet die Bereitschaft, sein wahres Selbst, mit seinen positiven wie negativen Seiten, in sozialen Beziehungen offen zu zeigen und nicht zu verleugnen.

Eine als authentisch bezeichnete Person wirkt besonders „echt“, strahlt aus, dass sie zu sich selbst mit ihren Stärken und Schwächen steht und im Einklang mit sich selbst handelt.

  • Sie vermittelt ein Bild von sich, das beim Betrachter als ehrlich, stimmig, urwüchsig, unverbogen, ungekünstelt wahrgenommen wird, anders als Personen mit einem falschen Selbst.
  • Dabei muss es sich nicht um die realen Eigenschaften des Betrachteten handeln.
  • Auch Zuschreibungen von Betrachtern können diese Eindrücke verursachen und als Teil einer gelungenen Inszenierung fungieren.
  • Ist die Inszenierung übertrieben, kann sie klischeehaft wirken und zum Kitsch werden oder dann als künstlerisch gekonnt erscheinen.


Anhang

Siehe auch

Links

Weblinks
  1. https://de.wikipedia.org/wiki/Authentizität