Authentizität/Philosophie

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Philosophie

Sowohl hinsichtlich einer begrifflichen Beschreibung (Aristoteles, Platon) als auch in Form einer exemplarischen Verkörperung (Sokrates) ist Authentizität schon in der antiken Philosophie bekannt.

  • Eine Orientierung am Konzept der „Authentizität“ wird dennoch von vielen Autoren als ideengeschichtliches Moment der Neuzeit und als Entwicklung seit dem ausgehenden 18.
  • Jahrhundert beschrieben.
  • Im Bereich der Ästhetik beispielsweise werde nun, so eine einflussreiche These Lionel Trillings, Kunst nicht mehr als korrekte Befolgung eines Regelkanons verstanden, sondern als Mittel zur Selbsterkundung.
  • In der Ethik (im sehr weiten Sinne) handle es sich bei Orientierungen an „Authentizität“, so etwa Charles Taylor, um ein „Kind der Romantik“.
  • Hier werde eine Erweiterung und Modifikation früherer Versionen eines „Individualismus“, etwa derjenigen von Descartes (Selbstdenken vor tradierten Lehren) oder Locke (Person vor gesellschaftlicher Inpflichtnahme) vorgenommen, u. a. durch Beachtung der Sozialität des Individuums.

Existentialismus und Existenzphilosophie

Bei zahlreichen dem Existentialismus zugerechneten Autoren spielt der Begriff der „Eigentlichkeit“ eine wichtige Rolle.

Heidegger

Für Heidegger sind „Eigentlichkeit“ und „Uneigentlichkeit“ zwei grundsätzliche Alternativen, wie sich Subjekte zu je ihrem eigenen Sein verhalten können: „Die Uneigentlichkeit kann […] das Dasein nach seiner vollsten Konkretion bestimmen in seiner Geschäftigkeit, Angeregtheit, Interessiertheit, Genußfähigkeit.“

Uneigentlichkeit ist vom „Mitdasein Anderer im Man völlig benommen“, es geht „besorgend in einer Welt“ auf.

„Umgekehrt ist die eigentliche Existenz nichts, was über der verfallen-den Alltäglichkeit schwebt, sondern existenzial nur ein modifiziertes Ergreifen dieser.“ In der Rezeption Heideggers wurden oftmals die Begriffe „Eigentlichkeit“ und „Authentizität“ wenig differenziert nebeneinander gestellt oder wurde z. B. „Eigentlichkeit“ als „authenticity“ übersetzt.

Heideggers Begriff der „Eigentlichkeit“ ist ein Konzept, dessen Tauglichkeit etwa für die Begründung einer normativen Ethik vielfach bezweifelt wird.

  • Stattdessen, so wendeten viele Kritiker Heideggers ein, handle es sich um formales Konzept, das auch sehr problematische Konkretionen nicht verhindern könne, wie dies ja auch für Heideggers eigene problematische Positionierung u. a.
  • zur faschistischen Ideologie zugetroffen habe.

Unter die umfänglichere Auseinandersetzung mit Heideggers Begriff der „Eigentlichkeit“ zählt Theodor W. Adorno 1964 erschienener Essay „Jargon der Eigentlichkeit“.

Sartre

Vorlage:Überarbeiten Jean-Paul Sartres Verständnis von Authentizität ist in der Sartre-Forschung durchaus umstritten.

  • Mit Sartre kann die unaufrichtige Seinsweise „sogar für eine sehr große Zahl von Personen der normale Aspekt des Lebens sein.“

Vorlage:Rp Sie entspringt der sogenannten komplizenhaften Reflexion.

  • Im Zentrum der Untersuchungen zu seiner Vorstellung von Authentizität steht folgender Abschnitt: „Kurz, es gibt zwei authentische Haltungen: die, durch die ich den Andern als das Subjekt anerkenne, durch das ich zur Objektheit komme – das ist die Scham; und die, durch die ich mich als den freien Entwurf erfasse, durch den der Andere zum Anderer-sein kommt – das ist der Hochmut oder die Behauptung meiner Freiheit gegenüber dem Objekt-Andern.
  • Aber der Stolz – oder die Eitelkeit – ist ein labiles unaufrichtiges Gefühl“.

Vorlage:Rp Sartre unterscheidet also zwischen Unaufrichtigkeit (mauvaise foi) und Authentizität. Dieser Unterscheidung liegt die grundsätzliche Bestimmung des menschlichen Seins als „Für-sich, […] das ist, was es nicht ist und nicht das ist, was es ist“ zugrunde.

Die Unaufrichtigkeit ist also ein Sich-Selbst-Belügen, indem die menschliche Realität um ein zwar nicht zutreffendes, ihr jedoch scheinbar vorteilhaftes Sein weiß, das sie zugleich als zutreffend anzunehmen oder zu vermitteln versucht.

  • Der Unaufrichtigkeit wird als Antithese die Ehrlichkeit entgegengestellt.
  • Diese ist Sartre zufolge letztlich ein „Seinsideal“,

Vorlage:Rp das der Mensch nicht erreichen könne, weshalb er auch nicht ehrlich sein und vor allem nicht werden könne, weil er als „Für-sich“ frei sei, sich zu entwerfen.

  • Ehrlichkeit sei folglich selbst unaufrichtig, weil die menschliche Realität ein Bewusstsein davon habe, dieses Ideal nicht erreichen zu können.

Authentizität ist bei Sartre ein Begriff, der sich vor diesem Hintergrund darauf bezieht, dass in der menschlichen Realität aufgrund der Erfahrung ihres eigenen Objekt-in-der-Welt-seins durch die Anerkennung des Andern als Subjekt ein Schamgefühl hervorgerufen wird.

  • Dieses Schamgefühl ist insofern authentisch, als es den fühlbaren Ausdruck einer ursprünglichen Beziehung zum anderen darstellt und da es auf der Ebene des präreflexiven Denkens stattfindet, keinen weiteren Entwurf zulässt.
  • Die Scham ist da und kann nicht durch eine Haltung ausgeschaltet werden.
  • Hier muss aber verstanden werden, dass Sartre von einer ursprünglichen Scham spricht, aus der die Möglichkeit alltaglichen Schamgefühls resultiert.

Spätmoderne

Nach der diskursanalytischen Diagnose Michel Foucaults ist das Konzept der „Authentizität“ typisch für Subjektivierungsformen der Moderne.

  • Dabei gehe es um den Bezug auf eine „Seinsweise des durch seine Übereinstimmung mit sich selbst bestimmten Subjekts“.
  • Dagegen plädiert Foucault für eine Vielheit von Formen und Praktiken der Selbstbeziehung und des Selbstentwurfs.

Er verdeutlicht dies z. B. mit Bezug auf Sartres Forderung, dass wir „wirklich und wahrhaftig wir selbst sein müssen“ und auf dessen Literaturanalysen.

  • Sartre habe hier die „kreative Arbeit“ (etwa eines Baudelaire) „an eine bestimmte Beziehung zu sich selbst“, „an einen Selbstbezug des Autors“ zurückgebunden und dabei nur zwei Formen unterschieden: „Authentizität“ im Sinne insb.
  • moralischer „Aufrichtigkeit“ oder Nichtauthentizität.
  • Stattdessen schlägt Foucault eine umgekehrte Perspektive vor: So „sollte man vielleicht die Art von Beziehung, die er zu sich selbst hat, als kreative Aktivität auffassen, die den Kern seiner ethischen Aktivität ausmacht.“ – „Aus dem Gedanken, daß uns das Selbst nicht gegeben ist, kann m.E.
  • nur eine praktische Konsequenz gezogen werden: wir müssen uns wie ein Kunstwerk begründen, herstellen und anordnen.“

Derartige Kritiken am klassisch-modernen Konzept der „Authentizität“ führen auch viele weitere Analytiker und Theoretiker der Spätmoderne (insofern oft auch als „Postmoderne“ etikettiert) ins Feld.

  • In dieser Zeit fällt auch der Begriff der authentischen Inauthentizität als Bezeichnung für das Spiel mit dem Authentischen.

Spätestens seit den 1990er Jahren finden sich aber auch Verteidigungen des „Authentizität“-Konzepts z. B. in der Ästhetik oder Ethik. Charles Taylor etwa hat mit Bezug u. a.

  • auf Trilling eine Verteidigung und Ausarbeitung einer „Ethik der Authentizität“ entwickelt.

Politische Philosophie

In der politischen Philosophie stellt sich die Frage nach der Authentizität als Frage nach dem wahren Willen (authentisch in diesem Sinne ist, wer seinen wahren Willen kennt und nach diesem handelt).

  • Hier lokalisiert Charles Taylor drei grundsätzliche Positionen.
  • Es gibt keine relevante Unterscheidung zwischen einem wahren und einem nicht wahrem Willen.
  • Freiheit wird verstanden als negative Freiheit, als Abwesenheit von äußerlichen Hindernissen (Thomas Hobbes, Jeremy Bentham).
  • Es gibt eine persönliche Selbstverwirklichung, eine innere Freiheit, im Rahmen der Bildung eines persönlichen wahren Willens.
  • Dieser wahre Wille wird jedoch ausschließlich von der betreffenden Person selbst erkannt.
  • Hier wird Freiheit bereits als innere Freiheit identifiziert.
  • Das Subjekt ist letzte Autorität in der Frage, ob es selber frei ist (John Stuart Mill).
  • Es gibt einen wahren Willen, den die betreffende Person aber eventuell nicht selber oder nur verzerrt wahrnimmt.
  • Andere Personen können aber diesen wahren Willen bei der Person erkennen.
  • Das Subjekt ist nicht mehr oberste Autorität in der Frage, ob seine Bedürfnisse authentisch sind oder nicht, ob es frei ist (Jean-Jacques Rousseau, Karl Marx).